Eine weitere Ära neigt sich dem Ende zu: Der britische Sportbootkartenanbieter IMRAY (www.imray.com) verkündet am 18.11.2024, seine Papierseekartenproduktion einzustellen – und zwar schon sehr bald: zur Saison 2025 sollen die letzten Ausgaben erscheinen. Zuvor hatte bereits das britische Hydrographische Institut UKHO – bekannt für seine Admiralty Charts – angekündigt, aus der Papierseekartenproduktion auszusteigen. Wir berichteten im Juli 2022 (https://yacht-kompass.de/ukho-kuendigt-das-ende-der-papierseekarte-an). Begründet wird der Schritt in beiden Fällen mit der stark gesunkenen Nachfrage angesichts der zunehmenden Verbreitung elektronischer Seekarten.
Das bereits seit dem 18. Jahrhundert bestehende Traditionsunternehmen bietet in der betreffenden Mitteilung zwar Interessierten an, „das Seekartengeschäft und/oder die Rechte am Namen IMRAY zu erwerben und damit die Fortführung unserer Tradition innerhalb der weltweiten maritimen Gemeinschaft zu ermöglichen.“ Bislang scheint sich dafür aber offenbar noch niemand gefunden zu haben.
Ich nutze IMRAY-Charts seit Jahrzehnten und habe sie auch schon häufig empfohlen, insbesondere in Revieren, die von anderweitigen Sportbootkartensätzen nicht oder nur unzureichend abgedeckt werden. Auch in meinem Fachbuch BESSER NAVIGIEREN (www.besser-navigieren.de) finden sie entsprechende Erwähnung.
Wie jedes Seekartensystem repräsentierte IMRAY zwar nicht immer und überall die optimale Lösung – aber gerade in weniger frequentierten Revieren nicht selten die beste für Sportbootfahrer. Die Karten waren professionell ausgeführt, auf wasserabweisendem Papier gedruckt, boten einen ordentlichen Berichtigungsservice und ließen sich dank der praktischen Falttechnik trotz des großen Formats zudem einfach transportieren. Für meine vorhandenen IMRAYs werde ich nun einen Platz im nautischen Bücherregel reservieren – zur Bewahrung eines Stücks Yachtsegelgeschichte.
Gleichsam ebenso beliebt wie empfehlenswert sind die IMRAY-Revierführer. Mit ihnen soll es vorerst weitergehen. Die sogenannten „Pilot Books“ der RCC Pilotage Foundation füllen bei mir bereits Regalmeter und haben sich auf See schon oft als hervorragende Hilfestellung erwiesen – gerade bei kniffligen Ansteuerungen oder der Wahl eines geeigneten Abwetterplatzes. Gleiches gilt für die enthaltenen Hinweise zu abweichenden Fahrregeln, Gebräuchen und Einreiseformalitäten in fernen Ländern. Hier bieten sie eine ebenso praxisgerechte wie verlässliche Quelle.
Als technikaffinier Mensch, der Eigner in Sachen elektronischer Navigationsausstattung berät und sich für die diesbezüglichen Möglichkeiten und Weiterentwicklungen begeistert, kann ich den Trend zu elektronischen Seekarten einerseits sehr gut nachvollziehen. Ich nutze sie gleichfalls bereits seit Jahrzehnten und weiß ihre Vorzüge sehr zu schätzen. Ebenso nehme ich täglich gern die Herausforderung an, in puncto elektronischer Navigation stets auf dem neuesten Stand zu bleiben und statte mich auch selbst immer wieder mit aktueller Technik aus.
Allerdings frage ich mich, was künftig aus dem Koppeln und dem Routing werden soll – das ich gleichsam selbstverständlich betreibe und aus guten Gründen weithin für wichtig erachte –, wenn es in absehbarer Zeit für manche Reviere überhaupt keine Papierseekarten mehr geben sollte. Ich habe zwischen Papier und Elektronik bei der Navigation nie eine Konkurrenz, sondern immer eine Symbiose gesehen – dies auch in Abgrenzung zu Büchern und Zeitschriften, die ich schon seit Jahren überwiegend elektronisch konsumiere. Dort vermisse ich dadurch nichts, denn lesen kann ich beides – der klassischen Kartenarbeit scheint derweil sukzessive die Grundlage verloren zu gehen. Schade.
Sven M. Rutter
(Stand: November 2024)