In jüngerer Zeit kochte wieder einmal eine hitzige Diskussion über den Nutzen von Papierseekarten an Bord von seegehenden Yachten hoch. Anlass waren Kontrollen der Wasserschutzpolizei, bei denen das Fehlen solcher Karten teilweise mit Bußgeldern geahndet wurde. Die betreffenden Yachten hatten ausschließlich elektronische Seekarten in Verbindung mit Seekartenplottern oder Tablets genutzt. Im Nachgang wurde auch ich mehrfach auf das Thema angesprochen: Reicht die elektronische Navigation allein nicht aus? Bieten elektronische Systeme dank regelmäßiger Updates nicht sogar aktuellere Daten? Sind Papierseekarten überhaupt noch zeitgemäß?
Ich möchte darauf mit einer ganz persönlichen Einschätzung antworten – zumal es mir fern liegt, hier irgendwelche grundlegenden Vorgaben machen zu wollen. Wer mich und meine Veröffentlichungen zum Thema Navigation auf seegehenden Yachten aus mehr als 20 Jahren kennt, weiß, dass ich die technische Entwicklung im Bereich der elektronischen Navigation mit Begeisterung verfolge. Aktuelle Navigationselektronik ist geradezu zu einem Steckenpferd von mir geworden. Immer wieder nehmen Yachteigner meine entsprechende Expertise im Rahmen einer Ausstattungsberatung in Anspruch – um eine optimale Realisierung der individuellen Ansprüche zu erzielen.
Zugleich ist mir auch die Arbeit mit Papierseekarten sehr vertraut. Schließlich bin ich schon mit Yachten über die See gesegelt, als ein Kartenplotter an Bord noch keine Selbstverständlichkeit war. Und ich habe für mich das eine übernommen, ohne das andere zu lassen. Die zunehmende Erfahrung hat mich im Laufe der Jahre ohnehin eher vorsichtiger als leichtfertiger werden lassen. Denn ich habe eben auch schon viel erlebt. Dementsprechend weiß ich neben jeder technischen Unterstützung ebenso jedes verfügbare Backup sehr zu schätzen.
Somit liegen die Papierseekarten bei mir auch nicht in irgendeinem Schapp herum, sondern werden täglich ebenso genutzt wie die vorhandene Navigationselektronik. Ich zeichne meine Kurse und Wegpunkte darin ein, die ich ebenso in den Plotter einprogrammiere. Hinzu kommt regelmäßig ein aktueller Schiffsort, um bei Bedarf (zum Beispiel einem Ausfall der Elektronik) weiterkoppeln zu können. Wie pflegt ein mir sehr vertrauter junger Mensch gern zu sagen: „Haben ist besser als brauchen.“ Wie wahr!
Und ich habe diese Vorgehensweise auch nie als anstrengend, aufwendig, unpraktisch oder ineffizient empfunden. Auch die Kosten für einen zusätzlichen Papierseekartensatz sind recht überschaubar, wenn man Sportbootkartensätze nutzt. Selbst wenn man, wie ich, beides auf einem aktuellen Stand hält (mithilfe der vom jeweiligen Anbieter bereitgestellten Update-/Berichtigungsmöglichkeiten). Belohnt werde ich nicht nur mit einem Backup für einen möglichen Systemausfall (den ich tatsächlich schon erlebt habe), sondern auch mit einer zusätzlichen wertvollen Informationsquelle und der Grundlage für eine Arbeit, die mir einfach Freude bereitet.
Denn ich navigiere eben auch ausgesprochen gern. Die Navigation ist für mich selbstverständlicher Teil dieses spannenden Spiels namens Segeln. Und ich freue mich jedes Mal, wenn es mittels einer durchdachten Routenplanung gelingt, eine anstrengende Kreuz zu vermeiden, rauen Seegang zu umschiffen, oder schlicht auf dem besten Weg ans Ziel zu kommen. Dafür bedarf es noch einer weiteren Komponente: eines wachen Geistes, den ebenfalls keine Elektronik zu ersetzen vermag.
Obgleich Letztere zweifellos großartige Hilfestellung zu leisten vermag, indem sie weit über die reguläre Kartenarbeit hinausreichende Funktionen bietet, und obendrein vieles einfacher macht. Wobei gerade Vektorkarten oft auch noch mehr aus den zugrundeliegenden Vermessungsdaten herausholen, indem sie an kritischen Stellen wie engen Durchfahrten und kleinen Buchten mitunter die entscheidende Zoom-Stufe mehr bieten als der größte Maßstab eines Papierkartensatzes. Verzichten möchte ich darauf keineswegs, zumal ich Wert auf größtmögliche Sicherheit lege – für die es aber eben auch auf ein Gesamtsystem ankommt, das alle Eventualitäten berücksichtigt. Wobei sich auf beiden Seiten – elektronischen und Papierseekarten – je nach Produkt mehr oder weniger praxisgerecht gestaltete Bereiche finden lassen. Dies macht Pauschalaussagen zur generellen Qualität grundsätzlich schwierig, was wiederum für eine Kombination unterschiedlicher Quellen spricht.
Wer die konventionelle Kartenarbeit hingegen als lästig empfindet, dem möchte ich einen Spruch des alten Seneca ans Herz legen: Nicht weil es schwer ist, lassen wir es – sondern weil wir es lassen, fällt es uns schwer. So wie nach hunderten Anlegern irgendwann die Hafenmanöver nicht mehr zwingend Angstschweiß auf die Stirn befördern, so wenig Mühe bereitet die klassische Kartenarbeit, wenn man sie alltäglich verrichtet. Gleiches gilt für bewährte Ortsbestimmungsmethoden ohne GPS – und übrigens auch für die Elektronik, die ebenfalls versiert bedient sein will. All dies macht Freude, aber fordert auch zugleich – so wie das Segeln insgesamt. Das macht schließlich gerade seinen Reiz aus.